Nachrechnung einer byzantinischen Sonnentafel
                ▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀
                          Beispiel 19 aus dem Buch:
                           Mathematische Statistik
                           von B.L.van der Waerden
                  Springer 1971 (dritte Auflage, Seite 138)

      Es wird eine Jahreslänge T von 365.25 Tagen angenommen.  In der
      Originaltabelle, auf die van der Waerden sich bezieht, sind die
      Eintrittszeiten der Sonne in ein Tierkreiszeichen angegeben, jedes
      Tierkreiszeichen erstreckt sich genau über eine Länge von 30°.
      Folgende Tabelle ist dem Buch entnommen:

          Länge L   Zeit t          mittlere Zeit to    Differenz l
          ──────────────────────────────────────────────────────────
          -180        0               0                    0
          -150       29d 15h 30m     30d 10h 30m         -19h
          -120       58d 22h 30m     60d 21h             -46h 30m
           -90       88d  3h 20m     91d  7h 30m         -76h 10m
           -60      117d 14h 20m    121d 18h             -99h 40m
           -30      147d 14h 20m    152d  4h 30m        -110h 10m
             0      178d  5h 20m    182d 15h            -105h 40m
            30      209d 11h        213d  1h 30m         -86h 30m
            60      241d  1h 40m    243d 12h             -58h 20m
            90      272d 18h 30m    273d 22h 30m         -28h
           120      304d  3h        304d  9h              -6h
           150      335d  0h 30m    334d 19h 30m           5h
          ──────────────────────────────────────────────────────────

      Es bedeuten:

          L :  Länge der Sonne beim Eintritt in ein Tierkreiszeichen
          t :  Zeit des Eintritts (0 für L = -180° gesetzt)
          to:  Mittlere Zeit (Jahreslänge = 365.25 Tage)
          l :  Differenz t-to


      Ursprünglich hat van der Waerden diese Tafel veröffentlicht unter
      dem Titel:

                        Eine byzantinische Sonnentafel

                     von Bartel Leendert van der Waerden

                    Bayerische Akademie der Wissenschaften
                  Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse
                  Sonderdruck Nr. 10 aus den Sitzungen 1954


      Die von van der Waerden in dem Sitzungsbericht angegebene Tafel
      (Heliostafel) gebe ich unten wieder (Spalten 2* und 3*), habe
      jedoch die Stundenbruchteile, die im Original als Bruchteile von
      Stunden angegeben sind, sogleich in Minuten umgerechnet und zudem
      die Spalten 1, 4, 5 und 6 hinzugefügt.  Ferner habe ich die
      Tabelle um die letzte Zeile, Länge = 180, ergänzt.  Die Zeitangabe
      in dieser Zeile ist wegen der Jahreslänge von 365.25 Tagen um 6
      Stunden größer als die des 23.  Septembers bei Länge = -180.  Die
      Tafel muß mit September beginnen, Länge = -180, da sonst inmitten
      der Tabelle an einer Stelle eine um sechs Stunden zu große
      Differenz aufträte!  Es sei noch auf eine kleine Differenz
      zwischen den Tafeln hingewiesen:  in der Originaltafel ist die
      Eintrittszeit bei der Länge 90 um eine Minute größer.

      Beachtet werden sollte auch die Bedeutung der in der Originaltafel
      angegebenen Tages- (T) und Nachtstunden (N):  wie heutzutage
      beginnt das Tagesdatum um Mitternacht, die Tagesstunden (T) werden
      jedoch vom Sonnenaufgang, die Nachtstunden von Sonnenuntergang an
      gezählt.  So bedeutet die Tafelangabe:  21.  April N 11:00 in der
      unseren Schreibweise:  04-21 05:00.

      Die Ergänzungen sollen verdeutlichen, wie die Zeiten der Spalte 6,
      die - bis auf die eine Minute bei Länge 90 - gleich den Zeiten t
      der obigen Tabelle sind, ermittelt wurden.

      Die Originaltabelle (2*,3*) mit Ergänzungen (1,4,5,6):
 
   1  │    2*    │          3*         │     4     │    5    │     6
 ─────┼──────────┼─────────────────────┼───────────┼─────────┼──────────
 Länge│Tierkreis │Tafel-Datum und -Zeit│unsere Zeit│Delta t  │   Summe
 ─────┼──────────┼─────────────────────┼───────────┼─────────┼──────────
      │          │                     │           │         │
  -180│Waage     │23. September T 12:00│09-23 18:00│         │  0d 00:00
      │          │                     │           │29d 15:30│
  -150│Skorpion  │23. Oktober   T 03:30│10-23 09:30│         │ 29d 15:30
      │          │                     │           │29d 07:00│
  -120│Schütze   │21. November  T 10:30│11-21 16:30│         │ 58d 22:30
      │          │                     │           │29d 04:50│
   -90│Steinbock │20. Dezember  N 03:20│12-20 21:20│         │ 88d 03:20
      │          │                     │           │29d 11:00│
   -60│Wassermann│19. Januar    T 02:20│01-19 08:20│         │117d 14:20
      │          │                     │           │30d 00:00│
   -30│Fische    │18. Februar   T 02:20│02-18 08:20│         │147d 14:20
      │          │                     │           │30d 15:00│
     0│Widder    │20. März      N 05:20│03-20 23:20│         │178d 05:20
      │          │                     │           │31d 05:40│
    30│Stier     │21. April     N 11:00│04-21 05:00│         │209d 11:00
      │          │                     │           │31d 14:40│
    60│Zwillinge │22. Mai       N 01:40│05-22 19:40│         │241d 01:40
      │          │                     │           │31d 16:51│
    90│Krebs     │23. Juni      T 06:31│06-23 12:31│         │272d 18:31
      │          │                     │           │31d 08:29│
   120│Löwe      │24. Juli      N 03:00│07-24 21:00│         │304d 03:00
      │          │                     │           │30d 21:30│
   150│Jungfrau  │24. August    N 00:30│08-24 18:30│         │335d 00:30
      │          │                     │           │30d 05:30│
   180│(Waage)   │23. September N 06:00│09-24 00:00│         │365d 06:00


      Kommen wir nun wieder zur anfangs angegebenen Tabelle aus dem Buch
      "Mathematische Statistik" zurück.  Diese Tafel soll zum
      Nachrechnen benutzt werden.  Wir normieren die Jahreslänge T, die
      Länge L und entsprechend die Differenzen l auf das Intervall
      [0,2π].  Damit erhalten wir die folgende Tabelle als Eingabedaten
      für das Programm BYZANZ.EX zum Nachrechnen:

          Differenz l     Länge L      Gewicht W
          ──────────────────────────────────────
           0.0            -3.141592654   1.0
          -1.361858e-002  -2.617993876   1.0
          -3.332969e-002  -2.094395103   1.0
          -5.459380e-002  -1.570796327   1.0
          -7.143784e-002  -1.047197551   1.0
          -7.896390e-002  -0.523598776   1.0
          -7.573844e-002   0.000000000   1.0
          -6.200000e-002   0.523598776   1.0
          -4.181144e-002   1.047197551   1.0
          -2.006949e-002   1.570796327   1.0
          -4.300605e-003   2.094395103   1.0
           3.583838e-003   2.617993876   1.0
          ──────────────────────────────────────

      Es wird vermutet, daß die Eintrittszeiten t nach der Exzenter-
      theorie, nach der die Sonne S mit gleichmäßiger Geschwindigkeit
      einen exzentrisch zur Erde E liegenden Kreis mit Mittelpunkt M
      durchläuft, berechnet wurden. Zur Überprüfung dieser Hypothese
      nehmen wir an, daß die Eintrittszeiten t mit gewissen zufälligen
      Fehlern berechnet wurden, und versuchen die Exzentrizität und das
      Apogäum möglichst genau durch eine Ausgleichung nach der Methode
      der kleinsten Fehlerquadratsumme zu bestimmen.

      Das Apogäum liege auf dem Kreis, dessen Radius wir gleich 1 setzen
      dürfen, bei A.  Die Erde E liegt dann auf der über M hinaus
      verlängerten Geraden A-M im Abstande e von M, e ist die
      Exzentrizität. Zur Erläuterung diene die Skizze ganz unten auf
      dieser Seite (wenn Textdatei, dann im ZIP als Byzanz.gif).

      Sei α die Länge des Apogäums und L die Länge der Sonne S relativ
      zu einem Punk der Fixsternsphäre (Frühlingspunkt) von der Erde
      aus gesehen.  Der Winkel x = L - α, also der Winkel A-E-S, ist
      dann die 'wahre Anomalie'.  Die Bogenlänge von A bis S, also der
      Winkel A-M-S, heißt 'mittlere Anomalie', die mit x + Ω bezeichnet
      werden soll, Ω ist der Winkel E-S-M.  Die Differenz -Ω zwischen
      wahrer und mittlerer Anomalie heißt Mittelpunktsgleichung.
      Zwischen Ω und x besteht nach den Regeln der ebenen Trigonometrie
      die Beziehung:

          sin(Ω) = e∙sin(x)

      oder

          Ω = arcsin(e∙sin(x)) .

      Da die Exzentrizität e klein ist, kann der arcsin in eine Potenz-
      reihe entwickelt werden, die nach dem zweiten Glied abgebrochen
      werden soll:

                         1           3
          Ω = e∙sin(x) + ─∙(e∙sin(x))
                         6

                          1  3
            = e∙sin(x) + ──∙e ∙(3∙sin(x) - sin(3∙x))
                         24

                   1  3            1  3
            = (e + ─∙e )∙sin(x) - ──∙e ∙sin(3∙x)  .
                   8              24

      Da die Sonne den Kreis mit gleichmäßiger Geschwindigkeit durch-
      laufen soll, ist die Zeit t, die die Sonne braucht, um den Bogen
      x + Ω zurückzulegen:

          t = x + Ω,

      mit 2π entsprechend 365.25 Tagen Umlaufzeit.  Bei mittlerer
      Bewegung wäre die Zeit:

          to =  x .

      Die Differenzen

          t - to = Ω

      müssen bis auf eine unbekannte Konstante k gleich den Differenzen
      aus oben angegebener Tabelle sein bis auf unbekannte Korrekturen v
      (= Fehler), die durch Rechen- und Schreibfehler des Quelltextes
      sowie durch Abrundung bedingt sind:

          l = Ω + k + v.

      Setzt man hier den oben für Ω gefundenen Ausdruck ein, so folgt
      mit

                  1  3
          a = e + ─∙e  ,
                  8

              -1  3
          b = ──∙e  ,
              24

      und x = L - α :

          l = a∙sin(L - α) + b∙sin(3∙(L - α)) + k + v .

      Da das b-Glied gegenüber dem a-Glied mindestens um die Größenord-
      nung e² kleiner ist, verzichten wir zunächst ganz auf das b-Glied.
      Falls die Fehler v dann bereits deutlich größer sind als es dem
      b-Glied entspräche, so kann man ganz auf das b-Glied verzichten.
      Rechnen wir also ohne b-Glied weiter. Wir haben

          l = a∙sin(L - α) + k + v

            = a∙(sin(L)∙cos(α) - cos(L)∙sin(α)) + k + v

            = a∙cos(α)∙sin(L) - a∙sin(α)∙cos(L) + k + v ,

          l = a1 + a2∙cos(L) + a3∙sin(L) + v

      mit

          a1 = k ,

          a2 = -a∙sin(α) ,

          a3 =  a∙cos(α) .

      Aus den mittels Ausgleichung bestimmten Parametern a1, a2 und a3
      lassen sich dann α und e berechnen:

          α = arctan(-a2,a3) ,

      und über a = √(a2² + a3²) folgt dann eine Gleichung für e:

           3
          e  + 8∙e - 8∙a = 0

      mit genau einer reellen Lösung für e. Die Ausgleichung ergibt:

          A1 = -0.00376900 ±0.00007327 ,
          A2 = +0.00170674 ±0.00010362 ,
          A3 = -0.00378227 ±0.00010362 .

      die Koeffizienten A1, A2 und A3 sind nicht korreliert.  Der
      mittlere Fehler σl der Einzelwerte l wird geschätzt mit:

          σl = 0.00025382 = 00h21m15s.

      Es folgt:

          α  = 65°42'46",
          e  = 0.0414863.

      B.L. van der Waerden gibt in seinem Buch an:

          α`  = 65°40',
          e`  = 0.04157,
          σl` ≈ 00h20m.

      Die Schätzung des mittleren Fehlers der Einzelwerte hat gerade die
      Genauigkeit der Tabellenwerte l.  Die Tabellenwerte werden also im
      Rahmen der Fehler genau durch das Exzentermodell dargestellt.
      Berücksichtigt man, das es sich bei van der Waerden wahrscheinlich
      um Handrechnungen handelt, so ist die Übereinstimmung seiner Werte
      mit den Ergebnissen dieser Rechnung recht gut.

Anhang: Ergebnisse des Programms BYZANZ.EX

------------------------------------------------------------------------------
Equations N = 12
Unknowns  M = 3

Data reading:   0.00sec

 Observations    Positions      Weights    Mean obs.  Mean errors    Residuals
 
            Y            X            W           YM          FYM            V
 
 +0.0000e+000 -3.1416e+000 +1.0000e+000 +1.3268e-004 +1.2691e-004 -1.3268e-004
 -1.3619e-002 -2.6180e+000 +1.0000e+000 -1.3468e-002 +1.2691e-004 -1.5028e-004
 -3.3330e-002 -2.0944e+000 +1.0000e+000 -3.3559e-002 +1.2691e-004 +2.2978e-004
 -5.4594e-002 -1.5708e+000 +1.0000e+000 -5.4757e-002 +1.2691e-004 +1.6363e-004
 -7.1438e-002 -1.0472e+000 +1.0000e+000 -7.1382e-002 +1.2691e-004 -5.5651e-005
 -7.8964e-002 -5.2360e-001 +1.0000e+000 -7.8979e-002 +1.2691e-004 +1.5259e-005
 -7.5738e-002 +0.0000e+000 +1.0000e+000 -7.5513e-002 +1.2691e-004 -2.2571e-004
 -6.2000e-002 +5.2360e-001 +1.0000e+000 -6.1912e-002 +1.2691e-004 -8.8642e-005
 -4.1811e-002 +1.0472e+000 +1.0000e+000 -4.1821e-002 +1.2691e-004 +9.1378e-006
 -2.0069e-002 +1.5708e+000 +1.0000e+000 -2.0623e-002 +1.2691e-004 +5.5314e-004
 -4.3006e-003 +2.0944e+000 +1.0000e+000 -3.9979e-003 +1.2691e-004 -3.0273e-004
 +3.5838e-003 +2.6180e+000 +1.0000e+000 +3.5991e-003 +1.2691e-004 -1.5259e-005


Unknowns AM,
Std. deviation FAM of AM,
Std. deviation FY of single measurement Y[i]:

 -3.7690e-002 +1.7067e-002 -3.7823e-002

 +7.3271e-005 +1.0362e-004 +1.0362e-004

 +2.5382e-004

Correlations of AM (diagonal = sample variances):

 +5.3687e-009

 -4.8343e-011 +1.0737e-008

 -5.5282e-011 +6.8368e-011 +1.0737e-008

Sun Table specific results:

Angle of Perigaeum:  65°42'46"
Excentricity      :   0.04148630

Calculation:   0.00sec
------------------------------------------------------------------------------
Byzanz.gif