Eine Anwendung der Chaostheorie

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Die Chaostheorie beschäftigt sich als ein Teilgebiet der Mathematik und Physik mit bestimmten nichtlinearen dynamischen Systemen, die eine Reihe von Phänomenen aufweisen, die zusammengenommen als Chaos bezeichnet werden. Das Auffälligste solcher Systeme ist eine nichtperiodische, völlig ungeordnet erscheinende Dynamik, die deshalb auch einfach als „chaotisch“ bezeichnet wird.

Schon seit dem Jahr 2000 findet an einem Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft ein Großversuch zur Anwendung der Chaostheorie statt. Mittels dieser Theorie soll exemplarisch untersucht werden, welche Gremien des Instituts − in einem dynamischen Prozeß betrachtet − sich im Laufe der Zeit als dominant erweisen würden. Vom Direktorium des Forschungszentrums wurde dazu eine kleine Anzahl von Gremien eingesetzt, nämlich das „Computer User Committee“ CUC und die damit assoziierte „Strategiegruppe“ SG sowie das „Computing Review Board“ CRB. Diese Gremien sollten miteinander und mit der Gruppe „Projekt“ sowie den User-Groups „Betreiber“, „Gruppe“ und „User“ im Versuch wechselwirken.

Bereits kurze Zeit nach Anlauf des Versuches zeigte sich zur Überraschung der Experimentatoren völlig unerwartet folgendes auffällige Phänomen: nicht etwa das Direktorium oder das CUC stellte sich als wichtigstes Gremium heraus, sondern das CRB entwickelte sich zu dem einzigen dominanten Gremium des Forschungszentrums, wie das Wechselwirkungsdiagramm „Zusammenspiel der Gremien“ des Versuchs im Bild unten zeigt!

Interessant ist die Rolle, die die Anwender, also die „User“ und ihre Gruppen (User Group Meetings), in diesem Szenarium spielen: es gibt keinen direkten Einfluß auf das CRB! Dafür gibt es das CUC, über das ursprünglich die Interessen der Anwender gegenüber dem CRB vertreten werden sollten. Bisher hat aber die dynamische Entwicklung im Versuch gezeigt, daß sich zwar viele Wechselwirkungen von den Anwendern auf das CUC entwickelten, daß aber die Wirkung auf das CRB vergleichsweise minimal geworden ist! Es ist zu vermuten, daß dieses chaotische System sich nur unwesentlich anders entwickelte, entfernte man die Anwender (und das CUC) völlig aus dem Experiment!

Fügte man als Gedankenexperiment einen zusätzlichen Wirkungspfeil vom Direktorium zum CRB mit der Kennung „löst auf“ ein, so erkennte man ein für chaotische Systeme typisches Phänomen, den „Schmetterlingseffekt“: minimale Änderungen können zu einer extrem veränderten Dynamik des Systems führen!

Chaos.gif

Legende: Als Maß der Dominanz von Gremien wurde das Verhältnis der Anzahl der von einem Gremium ausgehenden Wirkungen zur Anzahl der auf das Gremium eingehenden Wirkungen betrachtet, siehe Richtungspfeile im Bild. So ist die Wirkung des CRB aufs Direktorium doppelt so groß wie umgekehrt, das Projektteam gar wird überwiegend vom CRB bestimmt!

Rote Richtungspfeile (3) beschreiben die Beziehung zwischen einem Hauptgremium und einer Teilmenge. Dies gilt offenbar für die Strategiegruppe (SG), sie hat sich zu einer Teilmenge des CRB entwickelt.

Grüne Richtungspfeile (4) gibt es nur in Wechselwirkungen zwischen dem CUC und den „Usern“ (bzw. ihren Gruppen), sie sollen angeblich beruhigend auf die Dynamik des Chaos wirken.

Blaue Richtungspfeile (5) beschreiben die experimentelle Anfangswechselwirkung, sie sind die einzige statische Komponente und haben später keine Wirkung auf die zeitliche Entwicklung des chaotischen Systems.

Schwarze Richtungspfeile (7) beschreiben ausschließlich projektbezogene Wechselwirkungen, man beachte, daß sie fast nur im Zusammenhang mit dem CRB auftreten und offenbar essentiell für die Dynamik des chaotischen Systems sind!

Braune Richtungspfeile (3) stellen sozusagen Meßpunkte dar. Sie dienen der Überwachung des Experiments und haben daher nur geringen Einfluß auf die Dynamik des chaotischen Systems.

Weitere interessante Details zu diesem Experiment finden Sie unter: http://www.desy.de/f/jb2000/, dort speziell die Seiten 271 ff.: http://www.desy.de/f/jb2000/desy2000-270-277.pdf.